18. Mai 2023
Wie sich ein Mensch nach dem Verlust seiner Partnerin, nach dem Tod seines Partners fühlt und verhält, wie die hinterbliebene Person trauert, das hängt nicht zuletzt von der individuellen Qualität der gelebten Beziehung ab.
Der Autor und Seelsorger Waldemar Pisarski hat sich in seinem Buch „Anders trauern – anders leben“ den vielfältigen Bindungen gewidmet, die sich zwischen zwei Partner*innen im Laufe der Zeit entwickeln. Mit seiner grafischen Veranschaulichung arbeiten auch Dozent*innen im Bereich Spiritual Care bei der Ausbildung angehender Ärzt*innen.
Pisarskis Buch, 1982 erschienen, ist noch etwas alte Schule der Trauerbegleitung. Der Autor orientiert sich darin an Sigmund Freuds Diktum, wonach Trauerarbeit erfordere, das Verlorene loszulassen und somit alle Bindungen zu lösen. Das sieht man heute anders. Als Trauerbegleitende ermutigen wir Hinterbliebene, dem verlorenen Menschen einen neuen Platz zu geben, um so den Verlust in ihr Leben einzubinden.
Gleichwohl ist die Arbeit mit dem Modell von Waldemar Pisarski sehr eindrücklich, was ich im Rahmen einer Fortbildung für zukünftige ehrenamtliche Sterbebegleiter*innen erleben konnte.
Auf zwei Flipcharts wurde jeweils eine/r der zwei Partner*innen dargestellt, zwischen den beiden ein drittes Flipchart mit einem unbeschriebenen Papier in Plakatgröße. Nun lud ich alle Teilnehmer*innen der Fortbildung ein, Linien zwischen den beiden Personen auf dem Papier zu ziehen und diesen Bezügen eine bestimmte Qualität zuzuordnen. Was könnte die zwei Menschen miteinander verbinden?
Diese Übung braucht Ruhe und Zeit, denn wenn man meinen mag, jetzt sei doch bereits vieles benannt und die vormals weiße Fläche ordentlich gefüllt, genau dann werden aus den stillen Kammern der menschlichen Erfahrung und des Einfühlungsvermögens weitere Arten von Bindungen hervorgeholt und ergänzt.
Am Ende waren die beiden durch vielerlei Aspekte miteinander verbunden: durch geteilte Werte, eine gemeinsame Geschichte und Visionen für die Zukunft; durch Körperlichkeit und Humor; durch Versprechen, die sie sich gegeben haben, oder die Erziehung der Kinder; aber auch durch erlebte Enttäuschungen, eine wie auch immer geartete Form der Abhängigkeit oder Konflikte, die sie im besten Falle gemeinsam gelöst haben.
Dann, ohne Ankündigung, drehe ich das rechte Flipchart um – dieser Mensch ist gestorben. Und die Bindungen? „Sie sind nicht gegangen“, so beschreibt es Pisarski, „sie sind noch da und laufen ins Leere.“
Ein beklemmender Moment für alle Anwesenden, haben sie sich doch eben noch in die mögliche Beziehung dieses Paares eingefühlt.
Für die Ehrenamtlichen ist dies die Situation, mit der sie im Rahmen von Begleitungen in Berührung kommen. Für uns alle ist es das Erleben, wenn die Partnerin, der Partner stirbt. „Trauerarbeit besteht darin, diese Bindungen, die jetzt ziellos im Raum stehen, wieder zurückzunehmen“ – und die Art unserer ganz persönlichen Bindungen zu dem verstorbenen Menschen, so ist zu ergänzen, prägt die Weise unseres Trauerns.
Die beiden Grafiken sind dem Buch „Anders trauern – anders leben“ von Waldemar Pisarski entnommen. Darauf aufmerksam geworden bin ich durch den sehr empfehlenswerten Band „Sexualität in Zeiten der Trauer“ von Traugott Roser.