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Rituale verbinden

8. Dezember 2022

Eine Woche saßen wir beim Essen schweigend nebeneinander. Dann, am Ende des Meditationsseminars, als Reden wieder gestattet ist und das große Schnattern beginnt, komme ich ins Gespräch mit der hochbetagten, vornehmen Dame. Wie wir alle, hatte sie die Tage in Stille „auf dem Kissen“ verbracht, nun erzählt sie. Von ihrer langjährigen Meditationserfahrung. Vom frühen Tod ihres Sohnes, der Schüler eines berühmten Zen-Meisters gewesen sei. Von dem mächtigen Gong in einem spirituellen Zentrum, dessen Schallen sie immer voller Furcht an die Fliegerangriffe auf offener Landstraße während des Krieges erinnert habe. Und sie spricht von ihrem Mann, vor zwei Jahren ist er gestorben. Natürlich sei es zu Beginn eine harte Zeit gewesen, ein ganz neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, in dem sie sich erst einrichten musste. Aber dann habe sie Kraft geschöpft aus täglichen Ritualen, welche die enge Verbundenheit mit ihrem Verstorbenen fortbestehen ließen. Jeden Morgen geht sie in den Garten und zündet die Kerze dort an. Gegen Ende jedes Abends erzählt sie ihrem Mann, was der Tag gebracht hat. Freunde und Weggefährten wüssten von dieser Verbindung und ließen ihn grüßen. Sie strahlt, sichtlich erfüllt von Freude und Zuversicht.

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Na, nu muss doch mal wieder gut sein.

23. Juni 2022

Ein immer wiederkehrendes Motiv im Erleben trauernder Menschen: die Ungeduld der anderen. Da soll sich dann oft genug schon nach drei Monaten was getan haben. Da dürfte er eigentlich nun aus dem Gröbsten raus sein. Da könnte sie sich doch wieder ein bisschen mehr einbringen – schließlich muss das Leben doch weitergehen.

Nein, liebe Leute, so funktioniert das nicht, zumindest nicht für jede und nicht für jeden. Klar, manchmal geht es schneller: Nach langer Krankheit mag der Tod eher als Erleichterung empfunden werden. Oder der trauernde Mensch steht auf eine Art im Leben, die es ihm ermöglicht, den Verlust gut einzuordnen und erstaunlich bald seinen Umgang damit zu finden. Unter Umständen getragen von Familie, Freunden und einer Weltanschauung, die Halt gibt.

Aber viele Menschen werden doch über lange Zeit von der Trauer und ihren Ausdrucksformen begleitet: Der Schmerz durchzieht den Tag, die Nacht ist einsam, der Schlaf schlecht, die Motivation nimmt nicht zu, die Sehnsucht brennt weiter, die Orientierung bleibt verloren, der Sinn des Lebens scheint nicht zurückzukehren.

Nicht umsonst heißt es, Trauern braucht Zeit. Die Trauer will ihre Dauer haben, und das Trauern lässt sich nicht beschleunigen. Warum auch? Trauer ist Entwicklung, ein Anpassungsprozess an ein Leben ohne …

Die Mühen der Gebirge liegen hinter uns / Vor uns liegen die Mühen der Ebenen.

Bertolt Brecht

Nun sind all jene, die mehr oder weniger stark zur Normalität drängen, nicht zwangsläufig unempathische Menschen, möglicherweise stehen sie der hinterbliebenen Person sogar nahe und haben eine Bedeutung in ihrem Leben. Sie sind aber noch nicht mit einem bedeutenden Verlust in Berührung gekommen. Das Gefühl der Trauer mag für sie eine Terra incognita sein, ein unbekanntes Land, das sie im Laufe ihres Lebens erst noch selbst entdecken müssen – und werden.

Also: Bitte gebt den Menschen, die einen Verlust erfahren haben, Zeit und überlasst es ganz ihnen, wie lange sie brauchen. Seid geduldig, denn der trauernde Mensch nimmt durchaus wahr, wenn er nach vielen Monaten noch nicht ok sein darf. Und das hilft ihm, mehr als Ihr denkt.