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Ohnmacht, Schuld & Fairness

17. November 2024

Der Partner ist zusammengebrochen, das Rettungsteam ringt um sein Leben. Sie steht dabei und kann nichts tun.

Die Tochter liegt im Koma, wird schließlich sterben, und die Eltern können nichts tun.

Der Ehemann macht während der Krankenhauswochen seiner Frau immer wieder schlechte Erfahrungen. Er fühlt sich ausgeliefert und kann nichts tun.

Erlebnisse wie diese können den Trauerprozess prägen. Die hinterbliebenen Menschen haben in einer existentiellen Situation ein Gefühl der Ohnmacht erfahren. Nun, nach dem Tod der geliebten Person, arbeitet dieses Gefühl, ausgeliefert und hilflos gewesen zu sein, weiter in ihnen.

Als Menschen fällt es uns schwer, uns in einer dramatischen Lage machtlos zu erleben, zumal in einer Zeit, da alles machbar zu sein scheint – „irgendwas geht immer“. Die Erfahrung von Ohnmacht in solch einem Kontext kann traumatisieren.

Und oft genug kommen sie dann, die fiesen Gedanken, die Schuldvorwürfe. Immer wieder gegen andere gerichtet, aber noch viel häufiger gegen sich selbst: Hätte ich nicht besser, … und noch mehr, … und überhaupt anders? Könnte er noch leben, wenn ich …? Hätte sie „besser“ sterben können, wäre ich … ?

Alles scheint leichter annehmbar, als zu akzeptieren, dass unsere Möglichkeiten sehr beschränkt waren, so es denn überhaupt welche gab.

Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Aber leben muss man es vorwärts.
Sören Kirekegaard

Es ist für Trauernde oft hilfreich, wenn wir als Begleitende ihnen diese Mechanismen vermitteln – dass wir lieber zur Schuld greifen, als Ohnmacht zu ertragen. So können sie sich besser verstehen, kommen sich selbst ein Stück weit auf die Schliche.

Und ich lege immer wieder Fairness nahe – fair zu sein gegenüber dem Menschen, der man in dieser Situation damals gewesen ist, für den alles unbekannt, beängstigend und zu viel war. Und uns zuzugestehen: Wir haben das uns zu diesem Zeitpunkt Mögliche getan.

Dabei leitet mich ein Satz des dänischen Philosophen Sören Kierkegaard: „Verstehen kann man das Leben nur rückwärts. Aber leben muss man es vorwärts.“